Die Bibel - und die Wahrheit dahinter

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Christian
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Die Bibel - und die Wahrheit dahinter

Beitrag von Christian » Fr Mär 30, 2018 12:02 pm

Spätetstens seit dem Bestseller von Werner Keller "Und die Bibel hat doch recht" aus dem Jahr 1955 ist der Blick auf die Bibel ein anderer. Obwohl schon um die vorletzte Jahrhundertwende (1902) der deutsche Universitätsprofessor Friedrich Delitzsch Teile der Bibel im Kontext mit den Erkenntnissen aus der Altertumsforschung einer neuen Bewertung zuführte, ist das Thema in seiner gesamten Komplexität und Aussage leider bis heute noch nicht wirklich überall in unserer Glaubensvermittlung angekommen. Dabei wäre es wahrscheinlich gerade heute hoch an der Zeit (wenn es nicht vielleicht schon "zu spät" ist, wie Martin Werlens meint), einige der Dinge,über die uns die Bibel berichtet, in einem neuen Licht darzustellen und mit überkommenen Vorstellungen aufzuräumen, die mit dem heutigen Wissen nicht mehr vereinbar und haltlos geworden sind.

Das Buch "Tagebuch der Menschheit - Was die Bibel über unsere Evolution verrät" versucht neues Licht ins Dunkel der biblischen Geschichte zu bringen. Es beginnt mit der Frage, ob die Geschichte um Adam und Eva im Paradies als Metapher für das Dasein der frühen Menschen als Jäger und Sammler zu verstehen ist? Oder ob die Geschichte, in der Kain Abel erschlägt ein Bild für die Konflikte zwischen umherziehenden Hirten und sesshaften Ackerbauern ist? Auf den ersten Blick scheint es unwahrscheinlich, dass Ereignisse, die so weit im „Dunkel unserer Primatenvergangenheit“ lagen, ihren Einzug in eines der bedeutendsten Bücher der Menschheit gefunden haben sollten. Als die Bibel entstand, war die große Umstellung im Leben der frühen Menschen zu Ackerbau und Viehzucht schließlich bereits weitgehend vollzogen.

Doch, so argumentieren die Autoren, der Evolutionsbiologe Carel van Schaik und der Historiker Kai Michel, die Bibel entstand schließlich weder über Nacht noch aus dem Nichts heraus. Vielmehr sei sie das Ergebnis vieler verschiedener Geschichten, Mythen und mündlicher Überlieferungen, die zum Teil bereits zu Zeiten der Entstehung des Alten Testaments uralt gewesen seien.
Möglicherweise reichte ein Abglanz von Überlieferungen aus der Frühzeit des Homo sapiens in die Zeit der Entstehung der Bibel hinein, lautet ihre These. Nimmt man diese Voraussetzung als wahrscheinlich an, kann man tatsächlich viel Verblüffendes in der Bibel entdecken. Die Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies wird zur Metapher für „das einschneidendste Ereignis in der Geschichte der Menschheit: den Übergang von egalitären Jäger-und-Sammler-Gruppen zur sesshaften Lebensweise mit Ackerbau und Viehzucht“.

Dieser Wechsel zu Lebensbedingungen, für die die Menschen biologisch nicht gerüstet gewesen und eigentlich bis heute schlecht geeignet seien, ist für die Autoren die Grundlage für viele der einprägsamsten Geschichten der Bibel. „Die Bibel ist der vermutlich ambitionierteste Versuch, jene menschlichen Probleme in den Griff zu bekommen, die den Homo sapiens seit dem Sesshaftwerden plagen.“

In der Anthropologie nennt man eine ungenügende Anpassung an die Umwelt „Mismatch“. Durch die radikale Änderung der Lebensumstände des Homo sapiens hin zu Ackerbau und Viehzucht sei schlagartig eine Zahl von Problemen aufgetaucht, die sich die Menschen nicht erklären konnten, so van Schaik und Michel. Die bis dahin umherziehenden Gruppen waren nun von den Launen des Wetters viel abhängiger als vorher, da diese Einfluss auf die Ernte hatten. Die biblische Sintflut könnte durchaus ein reales „Vorbild“ in Form einer Überflutung oder eines Tsunamis gehabt haben.

Außerdem seien die frühen Bauern viel häufiger und intensiver von Infektionskrankheiten und Seuchen heimgesucht worden, führen die Autoren aus. Die nun in unmittelbarer Nähe lebenden Haustiere waren Träger von Erregern, die irgendwann auf die Menschen übergingen. Diese hätten nach Erklärungen für die neuen, furchtbaren Plagen gesucht, so „Das Tagebuch der Menschheit“. Als Pars pro toto für die „Menschheit“ stehen die Israeliten und ihr Gott Jahwe im Mittelpunkt.

Selbst die „Entstehung“ eines mächtigen, einzigen Gottes aus einer von Geistern bewohnten animistischen Weltbetrachtung, wie sie die frühen Menschen vermutlich hatten, wird als notwendige „Anpassungsleistung“ erklärt. Es musste ein mächtiger, reizbarer Gott im Spiel sein, und die Menschen mussten irgendwie seinen Zorn erregt haben. So entstand ein „Sündenkatalog“ neben einer Vielzahl an Geboten, die das Leben gottgefällig regeln sollten. Die Einhaltung der Gebote wurde in biblischen Gesellschaften von drakonischen Strafen flankiert.

Dahinter steht die Überzeugung, dass die Sünde eines Einzelnen Strafen für die ganze Gesellschaft nach sich ziehen kann. In diesem Licht betrachtet lassen sich grausame Strafen für heute als geringfügig betrachtete Verbrechen besser verstehen: Die Sünderin oder der Sünder gefährden schließlich mit ihrem Verhalten die ganze Gemeinschaft.

Der andere Grund für strikte Gesetze zum Beispiel im Bereich Ehe und Sexualität ist für die Autoren schlicht die rasante Verbreitung von Geschlechtskrankheiten durch das enge Zusammenleben vieler Menschen: Monogamie und die Einschränkung der Sexualität vor allem der Frauen sollten Abhilfe schaffen. Auch Reinheitsgebote fallen in die Kategorie der Krankheitsvorsorge.

Das Neue Testament mit seiner Botschaft der Nächstenliebe kehrt in der Argumentation van Schaiks und Michels gewissermaßen zu den Anfängen der Menschen zurück: Die Lehre von Jesus nimmt die Gebote Gottes nicht zurück, sie mildert sie aber mit der Empfehlung zur Barmherzigkeit ab. Anhand der Geschichte von der Ehebrecherin (Joh 7,53-8,11) macht das Buch deutlich: Jesus verteidigt die Sünde nicht, aber mit seiner Aussage „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie“ fordert er etwas ein, das in der „alten Jäger-und-Sammler-Kultur“, so die Autoren, wohl selbstverständlich war: Solidarität in der Gruppe und ein gewisses Augenmaß in Sachen Strafe. Dazu passt auch der im Buch mit Beispielen belegte „hohe Stellenwert der Frauen in der Jesusbewegung“.

Mit Jesus zurück in die Urzeit? Das würde die These von „Tagebuch der Menschheit“ zu stark verkürzen. Aber was die Bibel, namentlich die Jesus-Geschichte, „von den Menschen in Sachen Nächstenliebe verlangt, ist also schlicht, sich so versöhnlich zu verhalten, wie das Jäger und Sammler in der eigenen Gemeinschaft immer taten“.

In recht einfacher Sprache gehalten und in kurzen Kapiteln strukturiert, ist das Buch bemüht, Leser nicht mit allzu schwierigem wissenschaftlichen Vokabular zu vergrätzen. Ein wenig mehr wäre schon gegangen, dafür ist das Buch aber auch für jeden verständlich geschrieben und ohne Schwierigkeiten lesbar. Auch wenn man einen anderen Anspruch an die Bibel als religiöses Werk hat, hat „Das Tagebuch der Menschheit“ doch einen hohen Unterhaltungsfaktor. Und es verhilft unterstützend zu manch modernerer Betrachtungsweise, die vielleicht für den einen oder die andere mehr annehmbar ist, als das der Originaltext. Ein Buch das einlädt, die Bibel aus einem neuen Winkel zu betrachten und die Wurzeln des Glaubens neu auszuloten.

Das Tagebuch der Menschheit: Was die Bibel über unsere Evolution verrät - erschienen im Rowohlt Verlag

Quelle: religion.ORF.at
Ja der Geist ist so geräumig, doch die Welt ist so beschränkt.(verändert, nach W. Busch)

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