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Escape(1280_x_1024)_(640_x_480)Weltwunder

 Vorweihnachtszeit in einer Schulklasse irgendwo im Herzen Europas. Am Wochenende war eine Sendung über großartige Bauwerke: „Weltwunder der Erde“ im Fernsehen gelaufen und die Lehrerin hatte die Kinder davor gebeten, sich, wenn möglich, diese anzusehen. So ziemlich alle waren der Aufforderung gefolgt und die Diskussionen über die Mächtigkeit und Großartigkeit schienen fast kein Ende zu nehmen. Deshalb bat die Lehrerin die Kinder, doch einmal jeder für sich eine Liste jener der Wunderwerke zu machen, die sie am meisten beeindruckt oder angesprochen hatten.

Schon kurz danach waren die meisten mit ihrer Liste fertig, und die Rangliste konnte sich wirklich sehen lassen:

Pyramiden von Gizeh, Taj Mahal, Grand Canyon, usw.

Als nun die Lehrerin daran ging die Zettel mit den Resultaten einzusammeln, bemerkte sie, dass eine der Schülerinnen noch am Schreiben war. Dieses Mädchen war eher schüchtern und leise, nur selten spielte sie mit den anderen in der Pause. Ihre Eltern waren zwar nicht von hier, aber sie waren schon vor Jahren ins Land gekommen und das Mädchen wuchs zweisprachig auf. Bis auf die Verschlossenheit war sie ein aufgewecktes und interessiertes Kind. Schulische Probleme hatte sie normaler Weise nicht. Deshalb ging sie zu ihr und fragte, ob sie denn irgendein Problem mit der Liste hätte.

Das Mädchen war ganz vertieft in ihre Arbeit und erschrak, als die Lehrerin plötzlich vor ihr stand. Sie faltete rasch den Zettel und sagte leise zur Lehrerin: „Nun ja – es war sehr schwer für mich, eine richtige Entscheidung zu treffen, denn es gibt so viele Wunder, aber welches ist nun wirklich eines?“

Die Lehrerin sah sie verwundert an und ermunterte sie, die Punkte auf ihrem Zettel einmal laut vorzulesen und lud gleichzeitig die Klasse ein, der Mitschülerin bei der Auswahl zu helfen.

Das Mädchen zögerte ein wenig, doch fasste es bald Mut und begann zu lesen:

„Das sind meine Wunder:

  • Sehen, Hören, sich Berühren, Riechen, Fühlen, Lachen …
  • … Lieben und geliebt werden. Ein Zuhause und eine Familie haben …
  • Ohne Angst in die Schule oder auf der Straße spazieren gehen zu können …
  • Wasser aus der Leitung trinken können, ohne krank zuwerden!

Wie auf einen Schlag war es plötzlich ganz still im Klassenzimmer. Diese alltäglichen Dinge, die alle hier als selbstverständlich betrachten und oft gar nicht beachten, was soll daran schon wunderbar sein? Die Kinder schauten einander verdutzt und sprachlos an. Selbst die Lehrerin konnte sich der plötzlichen Konfrontation mit diesen „ungewöhnlichen“ Wundern nicht entziehen und verblieb wie elektrisiert einige Sekunden an ein und derselben Stelle.

Nach ein paar Augenblicken der Stille, fragte sie das Mädchen, wie sie denn auf diese Wunder gekommen wäre.

Da erzählte das Mädchen, dass sie und ihre Eltern aus einem Land kämen, wo diese Dinge nicht selbstverständlich seien. Dort gäbe es durch Krieg, Armut, Kriminalität und Krankheit viele Kinder, die nicht hören oder sehen könnten. In den Straßen und auf den Feldern gab es nichts, das guten Duft verbreitete. Ständig lebe man in Angst vor Banden und Militärs, und das „Zuhause“ war eine halb gesprengte Wohnung im zweiten Stock eines ehemals noblen Stadthauses. Ihre Verwandten lebten in einer Zone, die von anderen bewaffneten Gruppen kontrolliert wurde, ein Besuch war so nur unter Lebensgefahr – also nicht – möglich. Wasser gab es nur alle paar Tage, wenn der Wasserwagen durchkam und es keine Gefechte gab.

Eines Abends bemerkte sie dann, dass ihre Mutter schon den ganzen Tag sehr hektisch und angespannt war, die beiden älteren Brüder benahmen sich auch seltsam anders. Der Vater war schon seit dem Vorabend weg und alle machten sich große Sorgen. Dann ging alles sehr schnell. Ein Mann holte die Familie ab und stopfte sie mehr schlecht als recht in einen mit allerlei Gerümpel angefüllten Lieferwagen. Sie fuhren lange über holprige Straßen, ohne zu wissen, wo sie wären, und wo es hingehen sollte. Dann blieb das Auto stehen, draußen war es immer noch dunkel. Sie wurden angewiesen ganz still zu sein und einer Frau, die sich nichtvorstellte, in die Dunkelheit zu folgen. Sie gingen stundenlang über unbekannte Pfade, ringsum nur die Halbwüste. Dann und wann war ein unbekannter Laut aus der Entfernung zu vernehmen, worauf sie sich schnell ducken mussten und erst wieder weitergingen, als die fremde Frau es ihnen sagte. Lange nach Sonnenaufgang des nächsten Tages erreichten sie ein Zeltlager. Dort war plötzlich ihr Vater wieder bei Ihnen – was für eine Freude. Doch die dauerte nur kurz. Er sagte ihnen, dass sie nie mehr in ihr altes Zuhause zurückkehren könnten, da sie sonst getötet würden. Noch ehe sie begriffen, was dies nun bedeutet, wurden sie wieder verladen, diesmal in einen großen LKW. Die Fahrt dauerte sehr lange, ohne dass sie einmal aussteigen konnten. Die Glieder taten ihnen weh und sie und ihre Brüder waren schon sehr am Rande eines Nervenzusammenbruchs, als der Wagen endlich anhielt und sie aussteigen mussten. Der Fahrer wies sie an, in eine bestimmte Richtung weiter zu gehen und nicht halt zu machen, bis sie auf ein Dorf stoßen würden. Dort sollten sie zur Polizei gehen und ihr Vater wüsste, was dann zu tun sei.

So waren sie geflohen – fast wie die heilige Familie. Denn an diese hatte das Mädchen die ganze Zeit während der Flucht denken müssen. Und wenn es ihr ganz schlecht ging und sie sehr traurig war, betete sie zu dem Jesuskind, dass es sie alle gesund ein neues Zuhause finden lassen solle. Durch ihr inniges Gespräch, war ihr das Jesuskind ganz nah geworden, fast so, wie ein lebendiger Freund.

Damit hatte die Weihnachtsgeschichte von der Heiligen Familie für das Mädchen und ihre Familie eine ganz besondere Bedeutung bekommen.

Da begannen nun auch die Lehrerin und die anderen Schüler der Klasse zu verstehen, dass die kostbarsten Güter im Leben jene sind, die nicht gekauft und nicht hergestellt werden können –und dass vieles, was sie für selbstverständlich und nicht weiter der Rede wert hielten, für andere Menschen auf dieser Welt nicht selbstverständlich war. Und nicht zuletzt, dass eine kleine Geschichte aus einem großen Buch für manche Menschen auch zum Lebensretter werden kann.

 

WeihEine gesegnete Weihnacht
und ein gutes Neues Jahr