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Archbishop, Jorge Mario Bergoglio

Wenn wir nach dem Begreifen fragen, dann lohnt es, zuvor noch einen Blick auf die Jünger Jesu zu werfen.

Drei Jahre waren sie mit ihm zusammen, zogen durch das Land, hörten seine Worte und sahen seine Handlungen, dann kommt das große Unverständnis. In der Nacht des Gründonnerstags, die Verurteilung, die Verzweiflung des Karfreitags, die nur eine Frage kennt: Wie kann dieser Mensch, der Sohn Gottes, so schrecklich am Kreuz enden. Alles, was Jesus vorher gesagt hatte, dass es so kommen werde, ist vergessen. Sie laufen auseinander, sie treffen verstört wieder zusammen, sie schließen sich vor Angst ein, bis zum Morgen des 3. Tages. Die Frauen erzählen: er lebt, er isst mit ihnen, lässt sich anfassen, die letzten Zweifel schwinden. Als er seinen Geist schickt, findet er sie um den Tisch versammelt, im Gebet, wach und bereit für seine Botschaft: die Kirche entsteht und lebt. Sie stehen um den Tisch, essen das Brot, trinken den Wein. Sie sprechen, wie er gesprochen hat: Das ist mein Leib, das ist mein Blut, ausgegossen für viele Menschen. Ein großes Verstehen, Begreifen liegt über ihnen.
Und das hat sich bis heute in der Feier der Eucharistie fortgesetzt, nur das Verstehen, Begreifen scheint wieder verlorenzugehen. Aber wir sind hier und erahnen das große Geheimnis, das uns seit 2000 Jahren schon begleitet. Wir ahnen, dass diejenigen, die zusammen das Brot teilen, Schwestern und Brüder werden, dass es da keine Unterschiede geben darf, dass der, der hat, dem zur Seite gehe, die Füße wasche, der da weniger hat. Wir ahnen, dass wir, die wir kommunizieren, der Leib Christi werden, seine Glieder auf der Erde und dass wir uns auf diesem Weg stärken. Wir ahnen, dass diejenigen, die fernbleiben, wie ein fehlendes Glied sind. Wir ahnen, wenn wir die Worte der Lesung hören dass wir Gottes Geist neu und belebend wieder empfangen. Wir ahnen, dass unsere bürgerlichen Abschottungen, Rechthabereien, Borniertheiten, Bequemlichkeiten, der Haltung Jesu der Fußwaschung diametral entgegenstehen.
Wir ahnen plötzlich, was es heißt, den Tod und die Auferstehung Jesu zu feiern, wenn wir das Brot teilen und Eucharistie feiern. Die Mächtigen, die Unterdrücker, haben ihn getötet, weil Jesus ihre tötende Macht anfragte und das Leben für alle wollte. Er konnte nicht getötet, begraben werden, denn Gott hat ihn auferweckt und er ersteht in der christlichen Gemeinschaft als sein Leib auf. Er lebte weiter in denen, die sein Brot teilen.

B. Brecht sagte einmal und das ist ein weiterer Schritt:

„Was nützt die Güte, wenn die Gütigen sogleich erschlagen werden, oder es werden erschlagen die, zu denen sie gütig sind?
Was nützt die Freiheit, wenn die Freien unter den Unfreien leben müssen?
Was nützt die Vernunft, wenn die Unvernunft allein das Essen verschafft, das jeder benötigt?
Anstatt nur gütig zu sein, bemüht euch, einen Zustand zu schaffen, der die Güte ermöglicht, und besser: Sie überflüssig macht!
Anstatt nur frei zu sein, bemüht euch, einen Zustand zu schaffen, der alle befreit.
Auch die Liebe zur Freiheit überflüssig macht!
Anstatt nur vernünftig zu sein, bemüht euch, einen Zustand zu schaffen, der die Unvernunft der Einzelnen zu einem schlechten Geschäft macht!“

Was Brecht hier fordert, ohne das umsetzen zu können, es ist für die möglich, die sich vom Brote Jesu nähren und dadurch fähig werden, eine Gemeinschaft von Leben zu leben, einander die Füße zu waschen und das Leben zu feiern, auch dort noch, wo Verlassenheit, Tod und Unglück stets Wegbegleiter sind.

Amen

Aus einer Predigt von Pfarrer Franz Nagler

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