Vergangenes Wochenende durfte ich einer sehr interessanten Podiumsdiskussion beiwohnen, wo es um „Neue Wege“ in der Kirche ging. Besonders gut gefiel mir ein junger Mann um die zwanzig, der sehr selbstbewusst über seine persönlichen Glaubenserfahrungen mit gleichaltrigen erzählte. Dabei kam durchwegs die Kritik der jungen Menschen am Ablauf und Handlungen der Eucharistiefeier zum Vorschein, die nur auf „Eingeweihte“ zugeschnitten ist. Weniger Nahestehenden sind die Vorgehensweisen während der Zeremonie fremd und wirken von komisch bis nicht nachvollziehbar – also jedenfalls nicht einladend. Diese Kritik liegt für alle Hellhörigen allerdings schon Jahre in der Luft und wurde bisher bestenfalls mit einer abfälligen Bemerkung bedacht.
Es gibt so viele Dinge in unserer Kirche, die den Menschen heute teils alt, teils fremd erscheinen, wo im Laufe der Zeit der echte Bezug abhanden gekommen ist – und mit ihm auch das Verstehen. Wenn, und das betrifft nicht nur junge Menschen, das Verstehen und mit ihm die Idee oder Vision abhanden gekommen ist, ist das Leben aus der Sache entschwunden. Die Kirche stirbt – und das ist augenscheinlich. Nicht nur an den Mitgliederzahlen, sondern auch an den Verwaltungsträgern (Priestern und Ordensleuten) herrscht immer größerer Mangel.
Hier ist ein Vergleich bezeichnend, den mir einst ein älterer Priester mit auf den Weg gegeben hat. Es meinte, die Kirche ist wie ein Altwarenladen oder eine über-ramschte Wohnung. Kein Platz mehr, wo man hintreten kann, ohne über irgend etwas zu stolpern oder kaputt zu machen. Viele Dinge stehen oder liegen überall herum, wo man von einigen schon die Begründung verloren hat oder nur mehr in Fragmenten vorhanden ist – und damit auch den Bezug zur heutigen Realität. Teils lieb- oder traditionsgewordene Dinge, and denen der Zahn der der Zeit nicht wirkungslos vorüber gegangen ist. Was vor 200 Jahren noch große Bedeutung gehabt und/oder ins allgemeine Lebensbild gepasst haben mag , ist heute „Schnee von gestern“ oder gleitet bestenfalls in die Skurrilität ab.
Am Boden und an den Gegenständen unserers kirchlichen Raumes hat sich eine Menge Staub angesammelt und viele Dinge haben ihre Abdrücke hinterlassen. Wirklich sauber gemacht wurde schon lange nicht mehr. Die Wände haben ihre strahlende weiße Farbe (Unschuld) verloren, die Fenster und Türen sind teilweise in einem erbärmlichen Zustand und konnten schon lange nicht mehr geöffnet werden. Frischer Wind zieht nur unzureichend durch die schmalen Durchlässe und Löcher herein. Die Feder des „alten Grammophons“ würden dringend ein Service brauchen, denn die alten Lieder haben ihre Frische und Fröhlichkeit verloren. Spielt man auf ihm neuere Platten ab, so wirkt die Musik bisweilen bizarr und aufgesetzt. Über einen kompletten Wechsel des Systems (Generalsanierung) wurde zwar schon hinter mehr oder weniger vorgehaltener Hand diskutiert, aber wer wagt sich echt darüber? Schon der Gedanke an frisch gestrichene Wände ist für die einen unabdingbar, für die anderen ein Gräuel. Doch – so oder so – auch nur für frische Wände müsste erst einmal entrümpelt und entstaubt werden.
„Mit der Kirche sollte es sein wie mit einer jungen Liebe (Anm.: kann aber auch eine alte sein), für die würde ich auch ohne zu zögern 500km fahren, nur um bei ihr zu sein.“ Auch dieser Satz des jungen Mannes ist bezeichnend. Wenn es mir wo gefällt, wenn ich irgendwo wirklich „zu Hause“ bin, dann komme ich, sei da was da will. Andernfalls – na ja, sie kennen ja die 101 Ausreden – oder? Da verwundert es nicht, wenn die Gotteshäuser immer mehr vereinsamen, die Gemeinden wegbrechen. Die Musik spielt anderswo, lauter – und gefälliger. Dabei war die Sehnsucht nach Erfüllung im Glaubensleben noch nie so hoch wie heute. Dies belegen nicht zuletzt die Umfragen nach Interesse im sog. esoterischen Bereich.
Dabei taucht auch immer wieder die Frage auf, was uns abhanden gekommen ist, – was fehlt. Was machen die Anderen besser als wir? Vielfach zeichnet sich dabei als Antwort die fehlende Gemeinschaft ab, – das fehlende Zu-Hause-fühlen. Wie soll man sich in einer Gemeinschaft wohl und zu Hause fühlen, deren Riten und Gebräuche einem fremd sind? Wo die Handlungen längst den Bezug zum täglichen Leben verloren haben. Wie soll eine Eucharistiefeier die Fröhlichkeit über die Auferstehung transferieren, wenn jegliches Lächeln als unangebrachte Geste angesehen und manch zaghafter (eigentlich selbstverständlicher) Beifallsapplaus schon als großes „aus der Reihe tanzen“ gesehen oder mit einem tastenden „WOW – heut waren wir aber Keck“-Lächeln übergangen wird. Wobei im nächsten Augenblick die Gemeinde wieder zu Teils „sauertöpfischer Ehrfurcht“ erstarrt. Das Statement eines Jugendlichen dazu: “ Wenn Gott der liebende Vater ist, würde er sich über unsere Freude freuen. So aber beschleicht einem das ständige Gefühl des gegenseitigen Zuwiderseins. Da hab ich keinen Bock drauf …!“
Es ist also hoch an der Zeit, die Kirche zu renovieren. Allerdings mit dem richtigen Augenmaß. Ein altes Haus verträgt nicht unbedingt rundum eine Glasfassade. Aber ein neuer Putz, neue Fenster und Türen, vielleicht ein neues Dach wären schon nötig. Eine helle und freundliche Einrichtung, abgestimmt mit ein paar ausgesuchten und in Schuss gebrachten Antiquitäten könnte eine gute Heimeligkeit ergeben. Und bei dieser Gelegenheit sollte auf eine ausreichend große Mulde für all jene liebgewordenen, aber entbehrlichen Dinge, die den Platz in den Räumen verstellen und vielfach nur als Staubfänger dienen, nicht vergessen werden.
Vielleicht haben nun manche Angst vor der vermeintlich plötzlichen Leere. Doch seien sie getrost, denn wo Gott zu Hause ist, braucht es da eigentlich noch mehr?