Font Size » Large | Small


Rate this post

Viele Menschen, große und kleine, kennen die Geschichte der Heiligen Drei Könige. Was aber von dem Schamanen Weiser Rabe erzählt wird, das ist weit weniger bekannt.

Weiser Rabe lebte am Rand eines Berglandes, dort wo sich die beiden amerikanischen Kontinente die Hand geben. Zu seinen Tätigkeiten gehörte auch die Beobachtung des Sternenhimmels, wo er eines Nachts einen außergewöhnlichen weißen Stern entdeckte. Dieser zog einen Schweif wie aus purem Goldstaub hinter sich her. Weiser Rabe kannte den Sternenhimmel gut, doch so etwas hatte er nie zuvor gesehen.

Er rief das Volk zusammen und sagte: »Ein neuer Stern ist aufgegangen. Ich bin sicher, es ist der Stern eines großen Königs. Ich will mich aufmachen und diesem neuen König zu huldigen.«

Er nahm viele Geschenke mit. Drei Lamas bekamen Krüge mit Wasser, Öl, Honig und edlen Stoffen auf den Rücken geladen. Auch Maisbrot und Trockenfleisch trugen sie und ein Armband aus kostbarer Jade, einen Beutel mit Goldkörnern und einen bunt gewebten, warmen Umhang.

Weiser Rabe sagte: »Lebt wohl.« Sein Bruder mit dem Namen gewiefter Hirsch, gab ihm noch einen Rat mit auf den Weg: »Schau nicht links, schau nicht rechts, scher dich um nichts, sonst kommst du nie ans Ziel.« Die Mutter aber nahm einen Schmuck mit einer schimmernden Perle von ihrem Hals, legte Weiser Rabe diesen um und sagte: »Das ist mein eigener Brautschmuck. Er soll dich erinnern, dass du jedem hilfst, der deine Hilfe nötig hat.«

So machte sich Weiser Rabe auf, und traf nach Tagen auf zwei Mädchen und eine Frau. Die litten Hunger, denn der Vater war viele Tage zuvor auf die Jagd gegangen und nicht zurückgekehrt. Da schenkte Weiser Rabe, was er zu essen bei sich hatte, und dachte: Der, der die Sterne lenkt, der wird mich nicht umkommen lassen. Und er zog weiter.

Als er ins Gebirge kam, war dort schon der Winter eingekehrt. Weiser Rabe fand einen alten Mann. Der hatte sich vor einem Schneesturm unter eine Tanne geflüchtet und war halb erfroren. Weiser Rabe gab ihm den warmen, bunt gewebten Umhang. Den ganzen langen Winter blieb er bei dem Alten; denn der Schnee lag so hoch, dass Weiser Rabe nicht übers Gebirge gehen konnte. Im Frühling brach er auf. Hinter dem Gebirge lag ein herrliches Wiesenland. Jetzt werde ich schneller vorwärts kommen, dachte Weiser Rabe.

Aber im Grase lag ein Hirtenjunge. Der hatte gegen die Wölfe gekämpft. Doch die Wölfe waren stärker gewesen als er. Sie hatten ihn verwundet und seine Lamas in alle Winde gejagt. Da pflegte Weiser Rabe ihn gesund. Als der Herbst kam, machte er sich wieder auf und zog dem schönen Stern nach. Dem Hirtenjungen schenkte er seine Lamas, denn ein Hirte ohne Herde, das ist ein armer Mensch.

Schließlich gelangte Weiser Rabe an die Meeresküste. Ihm fiel ein Schilfboot in die Augen. Darin lagen jedoch ein toter Mann und eine tote Frau. Drei Kinder saßen da und weinten. »Seeräuber haben unsere Eltern umgebracht«, berichtete der Junge. »Das Fischernetz und das Segel haben sie uns geraubt.«

Einen Augenblick dachte Weiser Rabe an den Rat seines Bruders: »Schau nicht links, schau nicht rechts, scher dich nicht drum.« Aber dann taten ihm die Kinder Leid. Er begrub mit ihnen die Toten und tauschte bei anderen Fischern das kostbare Armband aus Jade gegen ein Netz und zwei Segel.

Zum Dank halfen ihm die Kinder, ein großes Schilfboot zu bauen. Doch das dauerte seine Zeit, und Weiser Rabe konnte erst nach sieben Monaten aufs Meer hinausfahren, dorthin, wohin der weiße Stern ihn führte. Lange, lange sah er nichts als Wasser. Endlich gelangte er an eine ferne Küste. Er hörte, dass hinter der Küste eine große Wüste lag. Eine Karawane war wenige Tage zuvor losgezogen. Da gab Weiser Rabe sein Schiff für ein Kamel und ritt los. Wochenlang zog er von Wasserstelle zu Wasserstelle. Schon war er der Karawane nahe gekommen, da gelangte er an eine Oase. Dort herrschte große Trauer. Die Männer der Karawane hatten einen jungen Mann geraubt. Den wollten sie in Ägypten als Sklaven verkaufen. Am folgenden Abend holte Weiser Rabe die Karawane ein. Er gab all sein Gold hin und kaufte dafür den jungen Mann und ein Kamel. Darauf setzte er den Jungen und ließ ihn zu seiner Oase zurückkehren. Er selbst aber begleitete die Karawane bis an die Grenzen Ägyptens. Dort hörte er von einem neuen König, der im Land der Hebräer geboren worden sein sollte. Also zögerte er nicht und besann sich erneut auf den Stern. Kaum aber hatte er das Land der Hebräer erreicht, da verblasste der Stern am Himmel. Überall fragte Weiser Rabe nach dem König der Könige, doch er schaute nur in erstaunte Gesichter und keiner konnte ihm eine Auskunft geben.

Weiser Rabe war nun schon viele Jahre unterwegs und er war kaum noch wieder zu erkennen. Nichts erinnerte mehr an den stolzen und weisen Schamanen, der er einst bei seinem Volk war. So kam er eines Tages in Galiläa in ein Dorf mit Namen Kana.

Dort wurde gerade eine Hochzeit gefeiert. Weiser Rabe hatte Hunger und bat um ein Stück Brot. Der Küchenmeister wollte den alten Bettler gerade forttreiben, doch der Bräutigam lud Weiser Rabe ein, ins Haus zu kommen.

Es war keine reiche Hochzeit. Der Wein ging aus. Ja und die Braut trug nicht einmal einen Brautschmuck. Weiser Rabe bemerkte, dass sie darüber sehr traurig war. Da nahm er den Schmuck, den seine Mutter ihm gegeben hatte, und legte ihn der Braut um den Hals.

Jetzt hatte er sein letztes Stück aus der Heimat fort gegeben, und mit ihm Alles was er noch an Besitz hatte, – er war wirklich zu einem Bettler geworden. Er schämte sich und mit Tränen in den Augen wollte sich in den Garten zurückziehen.

Dort mühten sich gerade Diener die sechs großen steinernen Krüge mit frischem Wasser zu füllen. Weiser Rabe ging zu ihnen, um zu helfen, das Wasser aus dem Brunnen zu schöpfen. Als sie fertig waren trat ein etwa 30 Jahre alter Mann aus dem Haus und ging zu den Krügen. Dort sprach er einen Segen sagte den Dienern, sie sollten dem Küchenmeister etwas von dem, was in den Krügen war, zu kosten geben. Diese staunten etwas darüber, denn das Wasser war eigentlich für die traditionellen Waschungen vorgesehen, aber sie taten, wie ihnen aufgetragen.

Augenblicklich kam der Küchenmeister aus der Küche gerannt und rief: »Was für einen herrlichen Wein habt ihr mir gebracht.«

Weiser Rabe blickte zum Abendhimmel hinauf. Da strahlte nach langen Jahren zum ersten Male wieder der weiße Stern hell und klar.

Danach schaute Weiser Rabe auf den Mann, dem sogar das Wasser gehorcht hatte und zu Wein geworden war. Er wusste mit einem Male ganz sicher, dass er am Ziel angekommen war. Er jubelte auf und rief: »Der, der die Sterne lenkt, der hat mich nicht in die Irre geführt.«

Er schlich sich zu dem neuen König, berührte ganz heimlich sein Gewand, beugte seine Knie und huldigte ihm. Da erfüllte ihn eine große Freude ganz und gar, und er rief aus: »Meine Augen haben das Heil geschaut! Welch Segen durfte ich empfangen.«

Ein gesegnetes Weihnachtsfest
und ein gutes Neues Jahr
mit vielen schönen Stunden
in Gottes Gegenwart

und möge der ein‘ oder andere Wunsch im kommenden Jahr in Erfüllung gehen.