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Wallfahrt

Wallfahrt nach Gößweinstein von Rudolf Schiestl (1878–1931)

Über Bedeutung und Sinn

Wallfahrt oder Pilgerfahrt, bezeichnet die Wanderung oder Fahrt zu fernen heiligen Stätten, oft in gemeinsamen Prozessionen der Pilger, mit Gebet und, im strengen Sinn, mit Verzicht auf Reisebequemlichkeit. Pilgerfahrten wurden schon in der griechischen und römischen Antike und bei den alten Ägyptern, Persern und Indern unternommen. Die nomadische Herkunft verschiedener Völker (z.B. Israels) war für die Entwicklung des Wallfahrtswesens, d. h. der periodischen Wiederkehr zu bestimmten Heiligtümern, eine günstige Voraussetzung. Bereits Abraham begründete ein solches Wallfahrtsheiligtum für seine Sippe bei Sichem an der „Eiche des Orakelspenders“ ( → Gen 12, 7). Weiters berichtet uns die Bibel über Jakobs Gang nach Bet-El, um nur dem einzig wahren Gott zu huldigen (→ Gen 35,7), oder Isaaks Offenbarung bei Beer-Seba, die ebenfalls die Errichtung einer Kultstätte zur Folge hat ( → Gen 26,25). Und nicht zu vergessen, Jakobs Schauung von der „Himmelsleiter“ (→ Gen 28,11 ff).

Wallfahrtsorte oder heilige Stätten wurden nicht einfach aus dem Boden gestampft. Sie finden sich nachweislich besonders an Orten, die als heilig, oder zu der Nähe einer Gottheit günstig gelegen, scheinen. Im Buch Genesis wird insgesamt von der Errichtung von sieben Altären berichtet. Dabei spielen als äußere Zeichen der Verehrung Bäume, Brunnen und Steine eine wesentliche Rolle, wie wir sie auch später im Baum-, Quell- und Steinkult christlicher Wallfahrten wiederfinden. Diese Orte wurden infolge bestimmter Ereignisse, wie etwa Wunder oder visionärer Erscheinungen ausgewählt.

Wie immer man bestimmten Grenzwissenschaften auch gegenüber stehen mag, so zeigen sie uns doch manch interessante und überdenkenswerte Erfahrung, besonders im Bereich der Architektur alter Kultstätten. Dabei wurden immer Jahrtausende alte Kenntnisse über die Existenz und Wirkungsweise von Kraftflüssen berücksichtigt. Der gewählte Platz mußte in der Lage sein, gemeinsam mit den Baulichkeiten eine besonders starke religiöse Hinwendung und positive Stimmung beim Menschen auszulösen. Deshalb finden sich Kultstätten vielfach genau an Kreuzungspunkten von Kraftfeldern aus Wasseradern und dgl. Dies führte manchmal zu ganz besonderen Ausformungen der Bauwerke, im speziellen Fall z. B. von Kirchenbauten über alten Kultplätzen in Irland (→ Glendalough) und in Skandinavien ( Vibyggerå/Schweden und Hallingdal/Norwegen).

Allgemein unterscheidet man drei Arten von Wallfahrtsorten:

  1. Orte der Erinnerung → Orte, welche im Leben von Heiligen, Religionstiftern und anderen bemerkenswert sind,
  2. Gräber
  3. Gnadenbilder

Die an den Kultstätten der Wallfaher erstrebten Heilsgüter können solche

  • der Offenbarung und Erleuchtung, sowie
  • der Gnade und Hilfe in allen Anliegen und Bedürfnissen des leiblich-seelisch-geistigen Lebens sein.

Als Mittel zu ihrer Erlangung fungieren die, während und am Ziel der Wallfahrt getätigten asketischen Übungen, Gebete, Opfergaben, Weihungen, Segnungen, Waschungen und selbst Essen und Trinken.

Die freiwillige Übernahme der mit der Wallfahrt verbundenen Mühsale zur Buße für Frevel und Vergehen findet sich noch nicht in der frühen Kirche. Im Zeitalter der gegenseitigen Ergänzung der kirchl. und staatl. Rechtsordnungen wurde die Wallfahrt, je nach der Länge und Schwierigkeit des Weges, in ein Sühnesystem eingeordnet. Durch Wallfahrten nach fernen Gnadenstätten konnten schwerere Vergehen und durch Bußgãnge nach nahegelegenen, geringere gesühnt werden.

Die Wallfahrer sind auch dazu aufgerufen, die an den Wallfahrtsorten empfangenen Impulse nach ihrer Rückkehr daheim zu üben und wirksam werden zu lassen, wodurch sich die Wallfahrt als ein starkes Ferment der inneren und äußeren Festigung der religiösen Großgemeinschaft erweist.

In der Geschichte der christlichen Wallfahrten nehmen die Marienheiligtümer neben den Pilgerfahrten nach Jerusalem und Rom seit jeher eine hervorragende Stellung ein. Bei uns im Abendland entstanden die Wallfahrten zu den Marienbildern mit der Entfaltung der Marienverehrung durch den Einfluß verschiedener Orden. Eine ganz breite Ausweitung erfolgte zur Zeit der Gegenreformation. Seitdem nehmen sie in der katholischen und der orthodoxen Kirche einen wichtigen Platz ein.

Die intensive Bilderverehrung und die Vorstellung, daß der anzurufende Heilige im Bild in ähnlicher Weise gegenwärtig ist wie in seinem Grab bzw. der seinem Grab entnommenen Reliquien, bewirkte die Wallfahrt zu den Gnadenbildern. Das galt auch für Christusbilder. Da Maria keine Märtyrerin war und man von ihr keine Körperreliquien hatte, entstanden die

Wallfahrten zu den Marienbildern

Da die Bevölkerung vielfach ein Marienheiligtum, zu dem es besonderes Vertrauen hatte, möglichst in greifbarer Nähe haben wollte, finden wir heute die Wallfahrtsorte breit verstreut über das ganze Land. Dabei ist es für die Größe und Bedeutung des Wallfahrtsortes unwichtig, ob es sich bei dem Kultgegenstand, meistens eine Statue oder ein Bild der Muttergottes, um eine künstlerisch wertvolle oder um eine unbedeutende Arbeit handelt, die aus dem Volk hervorgegangen ist. Dazu erzählt uns als Beispiel die Legende von Mariazell folgende Begebenheit:

„Das Gebiet um Mariazell gehörte im Mittelalter zur Stiftung des Klosters St. Lambrecht. Ein Mönch wurde im Jahr 1157 von seinem Abt in das damals unwirtliche Land geschickt. Er soll an der Stelle der heutigen Basilika eine Bretterhütte, eine Zelle, errichtet haben und darin setzte er eine aus dem Stift mitgebrachte, aus Lindenholz geschnitzte Marienstatue aus“.

Die Geschichte reicht in diesem innersten Gebirgswinkel, wo von alters her Salz und Eisen abgebaut wurde, zurück über mehr als fünf Jahrtausende. Die Linde galt von alters her, nicht nur als gutes Holz zum schnitzen. Bei den Germanen und Slawen war die Linde ein heiliger Baum. Er war der Frigga oder Frija[1], der Göttin der Fruchtbarkeit geweiht.

In älteren Wallfahrtstätten findet man oft ein Abbild der schmerzhaften Muttergottes, welches wir auch heute noch vielerorts antreffen. Da ein Hauptmotiv aller Wallfahrtsorte die Bitte um Hilfe in Krankheiten, persönlichen oder familiären Sorgen und Schwierigkeiten ist, erwartet man sich von Maria – in diesen Wallfahrtsorten selbst als Leidende dargestellt – besonderes Verständnis und Hilfe in seinen Nöten und Anliegen. Dies bezeugt, das große Vertrauen der Bevölkerung zur schmerzhaften Muttergottes.

In der Mariazeller Basilika wachen, von den meisten kaum beachtet, eigentlich drei Mütter über das Wohlergehen der Gläubigen. Die Statue in der Kirchenmitte, beim Gnadenaltar, ist die älteste, um 1250 geschnitzt, nach altem Brauch bedeckt mit einem Mantel aus Gold. Ferner eine Madonna aus der Zeit um 1370, gestiftet vom ungarischen König Ludwig I., das sog. Schatzkammerbild, und schließlich die Frauensäule mit einer spätgotischen Madonna um 1500.

Bei den Kelten waren es ebenfalls drei Mütter, die auf die Menschen aufpaßten: Liebe, Geburt und Tod bildeten eine weibliche Dreifaltigkeit. Diese drei keltischen Mütter leben heute in unseren christlichen Kirchen in den 3 Nothelferinnen weiter: Barbara mit dem Turm, Margarethe mit dem Wurm, Katharina mit dem Radl, das sind die drei heiligen Madl.

Auch die Landesmutter Kärntens, die hl. Hemma – eine Nachfolgerin, so meinen Fachleute, der keltisch-römischen Muttergöttin Isis-Noreia – hat in den Kirchen stets zwei ständige Begleiterinnen, die eine ist die hl. Lucia, mit ihren Augen auf einem Teller. Sie wurden ihr beim Martyrium ausgerissen. Daher ist sie gut für Augenleiden – wie auch die hl. Hemma. Dazu die hl. Agathe, sie zeigt ihre Brüste, die von den Folterknechten abgeschnitten wurden. Folglich ist sie gut für Muttermilch und überhaupt für Kindersegen – wie auch die hl. Hemma.

Ausbreitung und Zurückdrängung

Die meisten Wallfahrten entstanden, wie schon erwähnt, im 17. und 18. Jahrhundert, als zur Zeit der Gegenreformation die Volksfrömmigkeit und mit ihr das Wallfahrtswesen einen starken Aufschwung nahmen. Dies war auch der Grund, warum viele alte gotische Kirchenbauten den damit verbundenen Anforderungen nicht mehr gewachsen waren.

Im Barock war man nicht zimperlich, man zerstörte alte Schönheit um für schönes Neues Platz zu schaffen.

Dagegen brachte die Aufklärung und der Josefinismus einen sehr starken Rückgang im Wallfahrtswesen. So wurden mit dem Hofdekret von l772 alle Wallfahrten verboten, die mehr als einen Tag dauerten bzw. außer Landes gingen.

Mit dem Rückgang der bäuerlichen Strukturen in unserem Land haben auch die sogenannten Bittage als Wallfahrtstage mehr und mehr an Bedeutung verloren. Sie waren eng mit dem bäuerlichen Arbeitsjahr verbunden und standen an Beginn der Aussaat und dienten vor allem der Bitte um günstige Witterung, aber ebenso um den Schutz für das Vieh. Dafür nahmen wieder andere Wallfahrtstage – unabhängig von alter Tradition – in letzter Zeit einen starken Aufschwung.

Kritik an der Wallfahrt

Es gab und gibt aber auch Kritik an der Wallfahrt. Dabei ist zu unterscheiden zwischen Ablehnung der Wallfahrt, d.h.

  • Ablehnung eines persönlichen transzendenten Gottes,
  • Verwerfung der Heiligenverehrung,
  • Zweifel an der Möglichkeit bzw. Wirklichkeit der Kundgabe und Erkennbarkeit übernatürlicher Hilfen und
  • aus Sorge um die Überbetonung der Frömmigkeit,

und Kritik an der Wallfahrtspraxis.

Innerkirchliche Kritik an der Wallfahrtspraxis gibt es ununterbrochen vom 4. Jhdt. an bis heute. Sie betont, daß jede Wallfahrt nur Ausdruck innerer Hingabe sein darf, und nicht ihr Ersatz.

Die Kirche wertet die Wallfahrten im allgemeinen folgend;

Wallfahrt gibt es fast in allen Religionen. Sie wurzelt im Bereich der religiösen Emotionalität, die dem „christlichen“ vorgegeben ist. Es bedarf der dauernden Warnung vor Wildwuchs und Entartung in diesem peripheren Frömmigkeitsbereich.[2]

Manchem von uns mag diese Art von Frömmigkeit nicht zusagen. Die Kirche verpflichtet niemanden, an diesem religiösen Brauchtum teilzunehmen. Jede Pilgerfahrt soll nur Ausdruck der Hingabe an Gott und des Vertrauens auf die Fürsprache der Heiligen sein. Nicht den Orten oder Bildern selbst darf außergewöhnliche Kraft zugeschrieben werden. Deshalb möge uns die Warnung des Gregorius von Nyssa aus dem 4. Jhdt. stets in Erinnerung sein:

 

„Wenn Du voller schlechter Gedanken bist, so bleibst Du doch weit von Christus entfernt,
auch wenn Du nach Golgotha, zum Ölberg oder zur Auferstehungsstätte pilgerst!“

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[1] Freya (Herrin) → Nordische Göttin, FREYRS Schwester, Schutzherrin der Liebe und der Zauberei. Fährt auf einem von Katzen gezogenen Wagen. Ihr gehört die Hälfte der Leichen der erschlagenen Krieger, die andere gehört Odin.

Frigg → Höchste nordische Göttin, Gemahlin Odins. Göttin der Liebe und der Fruchtbarkeit. Sie weiß der Menschen Schicksale, kann sie aber nicht ändern.

[2] Biemer, Günther, Glaube zum Leben, Die christliche Botschaft, Herder, Freiburg, Basel, Wien, 1986

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