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Teil 2: Leben in der Gegenwart – Was ist heute wichtig?

Schauen wir aus dem Fenster, dann müssen wir akzeptieren, dass unsere Welt ein sich ständig drehender Ball ist. Wissenschaft, Technik und Wirtschaft überraschen uns täglich mit neuen Erkenntnissen. Unsere Welt wurde „kleiner“ – aber gleichzeitig stiegen die Herausforderungen und Aufgaben um ein Vielfaches.

Eine der größten heutigen Herausforderungen ist es, Mittel und Wege zu finden, den Menschen das Evangelium oder den Glauben in einer Form nahezubringen, der von ihnen auch verstanden wird – und den sie annehmen können.

Ein Großteil der Menschen wird heute mit wichtigen und unwichtigen Nachrichten, Werbung und vielen Möglichkeiten der modernen Kommunikation durch den Tag geleitet. In der Arbeitswelt ist der Druck mehr Produkte zu erzeugen, ohne das diese mehr kosten dürfen, ständig am Steigen. In einigen Bereichen werden immer mehr Menschen gezwungen Überstunden zu machen, in anderen herrscht Stagnation oder Rezession über Wochen, Monate oder länger. Immer mehr Menschen leiden unter Zukunftsangst, ausgelöst durch Berichte über Arbeitsplatzverlust, Einsparungen, Kurzarbeit, usw. Aus der Ferne sieht dies Alles für manche nach einem großem Gewinn aus. Aus der Nähe betrachtet erkennt man aber, das Alle – ohne Ausnahme – sich in einer Art großem Hamsterrad befinden, nur eben auf verschieden Arten.

Die allgemeine Unersättlichkeit an Macht und Geld war schon lange nicht so ausgeprägt wie heute. Unser angeborener Jagdinstinkt hetzt uns von einem Ereignis zum nächsten. Schon die Schule produziert überwiegend nur mehr funktionierende Individuen, die von der Gesellschaft (Wirtschaft/Industrie) gebraucht werden. Die Mehrzahl der Leute agieren wie Roboter in einem Korsett bestehend aus Arbeit, während Wirtschaft und Industrie alle Anstrengungen unternehmen, diesen Zustand zu unterstützen und auszubauen. Lohndumping und Rücknahme bzw. Abbau des Sozialstaates sind Zeichen eines wieder erstarkten Kapitalismus, der die Menschen ausbeutet und zu Maschinen degeneriert.

Schaut man auf Teile unserer Zivilgesellschaft, so kann man den Eindruck gewinnen, dass sie wie die berühmte Ziege hinter der Karotte herlaufen, die an einer Stange vor ihrer Nase befestigt ist. Einige unterwerfen sich dieser Realität, so sie ausreichend verschiedene Annehmlichkeiten erhalten. Andere müssen täglich unter unvorstellbaren Bedingungen ihr Leben fristen und ums Überleben kämpfen. Wie man es auch betrachtet, beide Seiten agieren, als wären sie auf Droge oder hypnotisiert. Manche versuchen aus diesem System auszusteigen, indem sie resignieren, teilweise drogenabhängig werden, oder in die Isolation abgleiten. Menschen jeder Altersstufe sind davon betroffen und ziehen sich auf ihre Wohnung oder gar ihr Zimmer zurück, brechen fast vollständig jeden Sozialkontakt ab.

Falls Sie sich nun fragen, was das Alles mit dem Thema: „Der Heilige Geist in unserem Leben“ zu tun hat, kann ich darauf nur antworten, dass dies eine der Kardinalfragen unserer Zeit ist: Wo haben wir unsere Seele in unserem Alltag verloren?

Dazu eine kleine Geschichte:

Eine Gruppe von Bergsteigern war im Gebiet des Himalayas unterwegs. Die Gruppe bestand aus einigen westlichen Bergsteigern und einheimischen Sherpas, die sie als Lastenträger engagiert hatten. Mit mutigen Schritten suchten sich die Bergsteiger ihren Weg, und die Sherpas folgten ihnen. Auf einmal und plötzlich unvorbereitet stoppten die Sherpas, nahmen ihr Gepäck ab und setzten sich nieder.

Die völlig überraschten Bergsteiger verstanden nicht was jetzt geschehen war, gingen zu den Sherpas zurück und fragten besorgt: „Ist etwas passiert, hat jemand von Euch einen Unfall gehabt? Hat sich jemand verletzt?“ – „Ist das Gewicht der Tragen zu hoch oder ist sonst etwas schief gegangen?“ –„Was ist der Grund für das plötzliche Anhalten hier im Nirgendwo?“

Einer der Sherpas schaute auf die fragenden Gesichter der westlichen Bergsteiger und antwortete: „Wir müssen jetzt ein wenig warten, damit unsere Seelen und wieder folgen können!“

Genau das ist es, was in unserer heutigen westlichen Gesellschaft und jenen damit verbundenen auf anderen Kontinenten geschieht. Aber das ist nicht nur ein Phänomen unserer Zeit.

Damals …

Lassen Sie uns in der Geschichte zurückgehen und treffen wir dort den jungen Johann Baptist Jordan. Sein sozialer Hintergrund war sicher nicht so, dass man ihn weitläufig als begütert bezeichnen könnte. Soweit wir wissen, war er nicht nur einmal, in dem, seinem Geburtsort Gurtweil nahegelegenen Fluss namens Schlücht, fischen, anstatt die Schulbank zu drücken. Dies geschah nicht nur zum Spaß, sondern sollte den kärglichen Tisch zu Hause etwas bereichern. Während seiner Lehrjahre, als Geselle auf der Walz, oder als er beim Bau der Eisenbahn arbeitete und später beim Militär, kam er in unmittelbaren Kontakt mit den echten täglichen Sorgen und Nöten der einfachen Bevölkerung. Jenen Teil der Gesellschaft, die fast überall die Mehrheit darstellt. Im damaligen industriellen Zeitalter gesellte sich zu der materiellen Not auch die seelische. Denn wer täglich bis zu 16 Stunden arbeiten musste, um seine nötigsten Bedürfnisse zu stillen, hatte wirklich keinerlei Interesse an philosophisch/theologischen Fragen. Der Besuch der Sonntagsmesse reichte nicht aus, dieses Defizit zu befriedigen. Gerade die Fragen des gegenwärtigen Lebens waren anderer Natur, als jene, die von der offiziellen Kirche verfolgt wurden.

Zu groß war der Druck von Staat, Kirche und Gesellschaft auf die Menschen einfachen Standes und die sogenannte „gottgewollte Ordnung“ musste aufrechterhalten und durfte nicht hinterfragt werden.

Unter diesen Lebensbedingungen, mit den verschiedenen sozialen Spannungen, erkannte Johann Baptist Jordan nicht nur seine Berufung von Gott Priester zu werden, sondern auch, dass die Menschen Zuneigung und Ermutigung brauchten, welche Antworten auf ihre wahren Bedürfnisse und Fragen gaben. Und wie unterschiedlich diese Fragen auch waren, so unterschiedlich, ja universal musste das Werk in Jordans Visionen sein, welches darauf Antwort geben sollte.

Diese eigene spirituelle Vision, die in P. Jordan heran gereift war, fand eine entsprechende Zustimmung nur bei ausgewählten Zeitgenossen. Auch die Kirche als Institution hatte eine negative Auffassung von solch neuen und revolutionären Ideen, was P. Jordan sehr schmerzhaft mit bitteren Rückschlägen und erzwungenen Änderungen erfahren musste.

Wie auch immer, wenn wir heute zurück sehen, können wir in allen Bemühungen P. Jordans das Wirken des Hl. Geistes erkennen – und auch, dass dieser sich nicht durch menschliche Regulierungen und Begrenzungen bezwingen lässt. P. Jordan verfolgte sein Ziel so gut als er konnte, wissend, dass seine Anstrengungen nur der Anfang eines umfangreichen Prozesses waren. Dies spiegelt sich in einem seiner letzten Worte wider:

„Andere werden kommen, sich unserer Leiden erinnern und unsere Arbeit fortsetzen.“

… und heute?

Heute sind wir mit der Herausforderung konfrontiert, das Evangelium  in einer Welt zu verkünden, die ähnliche Anforderungen stellt, wie zu P. Jordan’s Zeiten – aber die Sprache hat sich verändert. Die Menschen sind noch immer auf der Suche nach Antworten auf die brennenden Fragen ihres Lebens und ihrer Zeit. Allerdings werden putzige Phrasen oder liebe Worte allein nicht weiter helfen, denn diese hören sich nur antiquiert und unrealistisch an und berühren nicht wirklich die Herzen.

Die Kirche – damit sind wir als Volk der Gläubigen gemeint – muss die Realität des täglichen Lebens ins Auge fassen und darauf Antworten finden. Die Salvatorianische Spiritualität mit der ihr eigenen Universalität ist wie ein maßgeschneidertes Werkzeug dafür geschaffen. Es liegt nur an uns, den Mitgliedern der Salvatorianischen Familie, es in der richtigen Art zu gebrauchen und es als unseren größten Schatz zu entdecken.

Was wir heute benötigen sind Querdenker, Unvoreingenommene und vernetzt Denkende. Mutige selbstständige Leute, die Konventionen hinterfragen und prüfen, ob diese noch relevant sind. Menschen, die dem Papst folgen und die Kirche als etwas Neues entdecken können.

Glaube – und was habe ich davon?

Eine andere interessante Frage in diesem Zusammenhang ist: Was ist der Wert unseres Glaubens? Was bringt er uns, welchen Gewinn haben wir davon? – Was habe ich eigentlich davon?

Vielleicht klingt das in manchen Ohren wie eine Provokation, aber in einer Welt die zum Großteil von gewinnsüchtiger Raserei, Neid und Voreingenommenheit regiert wird, muss dies berücksichtigt werden. Sehen wir uns dazu ein Beispiel an:

In den Achtzigern des letzten Jahrhunderts erwuchs in Europa eine Gegenbewegung zum allgemeinen Mainstream. Einige Leute erkannten, dass ein fortschreitender Prozess des ungebremsten Wachstums nicht das Maß aller Dinge sein konnte. Eher früher als später würden wir damit den Rand des Abgrunds erreichen. Es kam zu Protesten und unter anderem zu einer Besetzung eines Auwaldes, indem ein Staukraftwerk geplant war und der dafür zerstört werden sollte. Während der Verhandlungen mit den Demonstranten und Aubesetzern kristallisierte sich die Frage heraus: Was ist so ein Stück Natur den eigentlich wert? Welchen Gewinn hat eine Person, wenn ein Frosch im Auwald lebt oder dort eine Weide, Erle oder Pappel wächst?

Einige einfallsreiche Wissenschaftler und interessierte Ökonomen begannen sich fächerübergreifend mit dieser Frage auseinander zu setzen und den Wert dieser Kreaturen heraus zu finden. Nach einiger Zeit gelang es, unter Einbeziehung verschiedenster Daten, jedem Frosch, jedem Fisch und jedem Baum und Strauch usw. einen ganz bestimmten finanziellen Zahlenwert als Äquivalent zuzuordnen. Damit wurde der Wirtschaft vor Augen geführt, um welche Werte es sich in diesem bis dahin vermeintlich wertlosen Areal handelte. Sowie, dass nachhaltiges Wirtschaften sich nicht nur auszahlt, sondern ein Gebot der Stunde ist.

Dieses Beispiel zeigt, dass ein großer Teil unserer zivilen Gesellschaft nur in Zahlen und Geldwerten denkt. Dinge erscheinen wertlos, wenn ihnen nicht ein reeller Zahlenwert zugeordnet werden kann. Allerdings gibt es Dinge, die nicht in Zahlen ausgedrückt werden können, aber dennoch einen hohen Wert für jeden Menschen besitzen – hierher zählen beispielsweise eine saubere Umwelt, trinkbares Wasser, gesunde Nahrung, eine gute Ausbildung, Perspektiven für die Zukunft, uvam. Deshalb sind ausreichende Lebensgrundlagen und Entwicklungsmöglichkeiten – auch psychische – so wichtig, weil diese den Wert der gesamten Bevölkerung heben und jeder etwas davon hat. Nicht zuletzt brauchen Menschen vielfältige Perspektiven für ihr Leben, um zu überleben.

In Matthäus 4,4 steht geschrieben: „Der Mensch lebt nicht nur von Brot, …“ – womit wir zu der alten Frage zurückkommen, wie der Mensch sich selbst definiert. Heute, nach der industriellen Revolution, müssten wir dazu fügen: „ … und die Arbeit ist nicht der einzige Sinn eines Menschen Lebens.“ Nicht umsonst teilen eine Gruppe von Arbeitsmedizinern und Arbeitspsychologen die Meinung, dass nicht-sinnstiftende Arbeit und der anhaltende Zwang zum Konsum der Grund für zunehmende Depressionen und sog. „Burn-out“-Syndrome vieler Menschen sind. Arbeit gehört schon seit biblischen Zeiten zum Alltag des Menschen, auch in der Religion. Allerdings darf sie sich nicht selber zum Religionsersatz aufschwingen, wie es heute schon teilweise Realität ist. Wo Arbeit ihren Bezug zur Liebe verloren hat, hat sie auch ihren Bezug zu Gott verloren. Jede Beschäftigung, die nur materiell gewinnorientiert betrachtet wird, ist Gift für die Seele.

Demnach scheint es, dass wir unsere Seele viel zu oft weit hinter uns gelassen haben – und lassen. Es ist somit hoch an der Zeit neue Wege und Lösungen für die Zukunft zu finden.

Im nächsten Teil: Der Versuch eine Antwort zu finden – Lass Dich entzünden …


Dieser Text entstammt dem Vortrag „Die Salvatorianische Familie – ein ungewöhnlicher Blick aus der Perspektive des dritten Zweiges“ von Christian Patzl anlässlich Tagung „Salvatorians: On fire with the Spirit“ der US-amerikanischen Salvatorianischen Familie vom 22.06.2016

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